Der Höhenflug der MT Melsungen ist eng mit den Namen „El Erni“ und „Horni“ verbunden. „El Erni“ ist ein spanisches Restaurant in Kassel, in dem sich die Spieler regelmäßig zu Tapas und Crema Catalana treffen und gesellige Abende verbringen. „Früher wäre das undenkbar gewesen, da ist jeder seiner Wege gegangen“, sagt MT-Kapitän Timo Kastening (29).
Neu ist auch ein Kabinenritual: Nach jedem Heimspiel kürt Kult-Betreuer Matthias Horn (58), genannt „Horni“ und seit 19 Jahren im Verein, den Spieler des Spiels und schenkt ihm eine Kleinigkeit. Zuletzt nach dem 32:27 gegen Erlangen bekam Linksaußen David Mandic (27) eine Flasche Rotwein. Der Auserwählte muss dann eine kleine Rede halten, was meist in lautem Gejohle der Mitspieler endet.
Lange galt die MT Melsungen als Legionärstruppe, deren Spieler fürstlich kassieren, aber dürftig spielen. Jahr für Jahr pumpte das ortsansässige Medizintechnik-Unternehmen „B. Braun“ Millionen in den Verein, doch mehr als ein Mittelfeldplatz sprang dabei meistens nicht heraus. Seit Ex-Spieler Michael Allendorf (38) vor zwei Jahren als Sportdirektor und im Oktober 2023 als Sportvorstand übernahm, hat sich das geändert.
Vergangene Saison erreichte die MT Melsungen in der Daikin HBL Platz 5 und qualifizierte sich für die European League. In dieser Saison führen die Nordhessen aus der 14 000-Einwohner-Stadt mit 16:2 Punkten die Tabelle an, gewannen auch bei Rekordmeister Kiel (25:21) und gegen Vizemeister Berlin (33:31). Samstag (20.30 Uhr/live auf Dyn) kommt Meister Magdeburg (14:2 Punkte) zum Gipfeltreffen.
Die Rothenbach-Halle in Kassel, wo die MT Melsungen ihre Heimspiele austrägt, ist mit 4500 Zuschauern restlos ausverkauft. „Wir hätten auch das Dreifache an Tickets verkaufen können“, sagt Allendorf.
Trotz reduzierten Spieleretats wurde der Kader verstärkt und breiter aufgestellt. „Ich wollte Spieler haben, die sportlich, aber auch menschlich zu uns passen“, erklärt Allendorf. Neu im Team sind die Rückraumspieler Aaron Mensing (27/von GOG), Alexandre Cavalcanti (27/Nantes), Mohamed Amine Darmoul (26/Minden/derzeit verletzt), Nikolaj Enderleit (27/Holstebro) und Linksaußen Ian Barrufet (20/Barcelona). Dafür verließen u. a. Ex-Nationalspieler Julius Kühn (31/nach Bietigheim) und Ivan Martinovic (26/Rhein-Neckar Löwen) den Klub.
MT Melsungen : Vom Söldner- zum Super-Klub
Prunkstück der Mannschaft ist die Defensive. Mit 231 Gegentoren in neun Spielen steht Melsungen von allen HBL-Teams hinten am besten. Das ist vor allem ein Verdienst von Abwehrchef Adrian Sipos (34). „Er ist unser Fels in der Brandung“, lobt Allendorf. „An ihm orientieren sich die anderen Spieler, auch in der Kabine ist er ganz wichtig.“ Kürzlich verlängerte der Ungar seinen Vertrag vorzeitig bis 2026.
Auch Torwart Nebojsa Simic (31) spielt eine überragende Saison. „Er ist nie mit sich zufrieden“, erzählt Allendorf. „Nach dem Spiel gegen Berlin kam er zu mir und entschuldigte sich, dass er nur sechs Paraden gezeigt hatte – dabei hatten wir gewonnen.“
Im Angriff glänzt ein ungleiches Duo: Der 1,69 Meter große spanische Spielmacher Erik Balenciaga (31) füttert seine Mitspieler mit Pässen, der 2,15 Meter große Lette Dainis Kristopans (34/HBL-Topverdiener mit 800 000 Euro brutto pro Jahr) hämmert mit Urgewalt die Bälle in den Kasten (41 Tore in neun Spielen).
„Beide haben im Vergleich zur Vorsaison noch einmal zugelegt“, sagt Allendorf. „Erik ist das Hirn der Mannschaft. Und Dainis ist allein schon mit seiner Körperlichkeit enorm wichtig. Dazu ist er ein echter Führungsspieler, der genau weiß, wann die Mannschaft ihn am dringendsten braucht. Wenn es vorne gut läuft, hat er kein Problem damit, sich auf die Abwehrarbeit zu konzentrieren.“
Ist sogar der Meistertitel möglich? „Unser Ziel ist es, uns wieder für den europäischen Wettbewerb zu qualifizieren“, sagt Allendorf. „Gerade mit unserer Vergangenheit hier sollten wir lieber die Kirche im Dorf lassen. Große Töne zu spucken hilft uns nicht weiter.“